Susanne Wenger
Wer sich intensiver mit der Yoruba-Religion befasst, stößt dabei unweigerlich auch auf den Namen Susanne Wenger.
Sie war eine großartige österreichische Künstlerin und Olorisha (Orisha-Priesterin), die viele Jahrzehnte im Yorubaland verbrachte und dort u. a. den vom Verfall bedrohten Oshún-Hain neu aufbaute, der inzwischen zum UNSECO Weltkulturerbe ernannt wurde.
Ihr zu Ehren wurde von Prof. Wolfgang Denk in Krems an der Donau die Susanne Wenger-Stiftung in den Räumlichkeiten der Kunsthalle Krems neu etabliert.
Die folgende Rede, die er zur Eröffnung der Stiftung hielt, beschreibt sehr schön das Leben und Werk dieser Ausnahmekünstlerin. Für nähere Infos besuchen Sie bitte die Seite der Susanne Wenger-Foundation: http://www.susannewengerfoundation.at/
(Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Wolfgang Denk)
Susanne Wenger, eine große Künstlerin und Abenteurerin des 20. Jahrhunderts
Eröffnungsrede von Wolfgang Denk am 8. Juli 2011
Nach unzähligen internationalen Berichten über TV-, Film- und Printmedien wurde Susanne Wenger, die am 4. Juli 1915 in Graz geboren wurde, als „weiße Priesterin an einem heiligen Fluss tief in Afrika“ bekannt. Aber sie war viel mehr als das, sie war eine der wichtigsten Künstlerinnen der Nachkriegszeit in Österreich und eine außergewöhnliche Künstlerin in Afrika. Wegen ihrer „entfernten“ Position, sowohl geografisch als auch thematisch, wurden nachdem sie weggezogen war, sensationelle Geschichten über ihre „exotische und geheimnisvolle“ Kunst und Fehlinterpretationen über das, was sie in Afrika als Künstlerin aus Österreich tat, veröffentlicht. Sie verstand die philosophische Botschaft, die die Götter, die Menschen und die Natur Afrikas für jeden Menschen bereithalten und so wurde eine Seite ihres komplexen Charakters schließlich ein Yoruba. Sie lebte 60 Jahre in Nigeria, meistens in dem inzwischen berühmten Steinhaus in der Ibokun Road in Oshogbo, zusammen mit ihrer „spirituellen Familie“, wo sie auch ihr Atelier hatte, und von ihren rituellen Adoptivkindern unterstützt wurde: der Hohepriesterin Adedoyin Faniyi Talabi Olosun und dem Hohepriester und Künstler Shangodare Gbadegesin Ajala. Bis zu ihrem Tod am 12. Januar 2009 in Oshogbo hat sie mutig alles verteidigt, was sie dieser nigerianischen Region und ihren Menschen gegeben hatte.
Die Heiligen Haine von Oshogbo in Nigeria und die Kunstwerke Susanne Wengers könnten gut eines der sieben Weltwunder darstellen. Es begann in den 1950er Jahren, als Susanne Wenger durch das Ifa Orakel der alten Hohepriesterin von Oshun gerufen wurde um zu helfen, den Schrein von Idi Baba, der bis zu diesem Zeitpunkt in einem traurigen Zustand des Verfalls war, wieder herzustellen. Kurze Zeit später begann sie mit der Arbeit an Ojubo Oshogbo, dem alten Haupttempel der Flussgöttin Oshun sowie dem Hauptschrein in den Hainen, der fast von Termiten zerstört worden war. Susanne Wenger errichtete Kunstwerke, riesige Zement-Skulpturen, kühn und manchmal allen architektonischen Regeln trotzend, großartige Kultschreine, Häuser und Initiationshöhlen mit endlosen Wänden, das Metaphysische darstellend, die zur „ewigen Realität“ wurden. Viele Werke entstanden in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Yoruba-Künstlern, Priestern und Arbeitern, die sie als "New Sacred Art" bezeichnete. Durch die Führung und die Dynamik in der Zusammenarbeit mit Susanne Wenger wurden viele Mitglieder dieser Gruppe später auch bekannte Künstler, wie Adebisi Akanji, Buraihmoh Gbadamoshi, Kasali Akangbe, Ojewale Amoo, Rabiu Abesu, Saka, Alagbede Ajibike Ogun Ni'yi, um nur einige zu nennen.
Chief Shangodare Gbadegesin Ajala wurde der Sprecher der New Sacred Art Bewegung. Adebisi Akanji war Susanne Wengers legendärer Mit-Erbauer, der an den meisten monumentalen Zementskulpturen von ihr mitarbeitete, wofür die Heiligen Haine heute berühmt sind. Ojewale Amoo war der erste, der dem Team beitrat, Saka fertigte in Handarbeit „den spirituellen Markt“ Oja Ontotoo an, während Buraihmoh Gbadamoshi und Kasali Akangbe die meisten Holz- und Steinskulpturen kreierten. Mittlerweile sind sie professionelle Bildhauer mit einem ausgezeichneten Ruf. Susanne Wengers monumentale Skulpturen und Schreine, insbesondere der Obatala Schrein, der gemeißelte Ogboni Schrein „Iledi Ontotoo“, die Statuen vom grüßenden Obatala und des für Oshun tanzenden Alajere, der Chamäleon-Zaun des Ebu Iya Mopoo, der monumentale Figuren-Schrein der Iya Mopoo, die grandiose Skulptur „Alajere Transformation“ und die himmelhohe Skulptur von Ela wurden weltberühmt. Der verlorene Haupteingang Ojubo Oshogbo, das Tor der „Fliegenden Schildkröte“ war eines ihrer Hauptwerke und wird eines Tages wieder aufgebaut werden. Fünfzig Jahre nachdem sie ihre Arbeit begann, wurden die Heiligen Haine zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Es wird an der New Sacred Art-Bewegung liegen, von Susanne Wenger aus erster Hand gegründet, ihr Erbe der sakralen Kunst in den Heiligen Hainen am Leben zu erhalten. Während all dieser Jahre hat Susanne Wenger nicht nur das Naturparadies der Heiligen Haine mit den mächtigen Bäumen entlang der unberührten Ufer des heiligen Oshun Flusses geschützt, sondern auch eines der wichtigsten spirituellen Zentren der Yoruba-Kultur.
Susanne Wenger, schon eine bekannte Künstlerin bevor sie nach Nigeria ging, war 1946 eines der Gründungsmitglieder des berühmten internationalen Art Club Wien. Von 1943 bis 1944 produzierte sie ihre ersten surrealistischen Zeichnungen nachdem sie Alpträume bekam, als die Stadt Wien, wo sie zu dieser Zeit lebte, im Zweiten Weltkrieg bombardiert wurde.[1] Diese Zeichnungen wurden für eine Gruppe junger österreichischer Künstler sehr wichtig, die später als „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ berühmt werden sollte.
Im Jahr 1949 reiste sie nach Italien, in die Schweiz und schließlich nach Paris, wo sie den Linguisten Ulli Beier kennen lernte und heiratete. Überraschend für ihre Freunde unter den österreichischen Künstlern war, dass sie mit ihm nach Ibadan in Nigeria ging. 1953 veröffentlichte Susanne Wenger das erste Alphabetbuch für Volksschulen in Yoruba. 1954 hatte sie noch Ausstellungen in Paris, London, Zürich und Brenda. 1955 zog Susanne Wenger mit Ulli Beier in das Dorf Ilobu, noch bevor sie nach Oshogbo gingen. Bis zum Tod des charismatischen Obatala Hohepriesters Ajagemo, den sie ihren großen Mentor nannte, kam Susanne Wenger immer noch nach Ede, um an den Obatala Ritualen teilzunehmen und den Schrein für Obatala wieder aufzubauen. In Ilobu, wo sie im Kreis mit Yorubas im Dorf lebte, begann sie, die alte Technik der Kasava-Batik, „Adire“, zu lernen. Susanne Wenger kombinierte den „kubistischen zeitgenössischen“ Stil ihrer Pariser Kunst-Erfahrungen mit den traditionellen Yoruba- Erzählmustern. Als Yoruba-Priesterin, Olorisha, initiiert, war sie umfassend von der Poesie, Mythologie und Religion der Yoruba erfüllt, ohne jemals zu leugnen, dass sie in jeder Hinsicht eine zeitgenössische Künstlerin war. Der klare transzendente Ausdruck ihrer Kunst kam vom religiösen Denken, spontan und frei, als Ausdruck ihres universalen Verständnisses von Kunst. Ein weiteres herausragendes Beispiel ihrer einzigartigen Kunst sind ihre bemalten Batiken. Von Beginn an entwickelte Susanne Wenger in ihrer Arbeit mit den riesigen Batiken ihren eigenen unverwechselbaren Stil, den sie als „spontanen Fluss“ bezeichnete. Nach 1970, als die meisten der großen Werke in den Heiligen Hainen auf Schiene waren, fühlte sie, dass sie von ihren Wurzeln als ausgebildete Künstlerin, etwas Neues schaffen wollte. Sie begann mit der Wiederbelebung ihrer Ölgemälde und schuf außergewöhnliche Werke. 1982 wurde ihr Buch „Ein Leben mit den Göttern“ veröffentlicht, das der große Kenner der afrikanischen Kunst, Gert Chesi, fotografierte. Von 1985 an kuratierte Prof. Wolfgang Denk im Namen der österreichischen Regierung monografische Ausstellungen von Susanne Wenger. Damit brachte er sie wieder nach Wien, um ihren siebzigsten Geburtstag zu feiern, gegenüber dem Platz, wo sie 40 Jahre zuvor ihr Atelier hatte. 2001 wurde sie mit dem „Silbernen Orden für Kunst und Wissenschaft“ durch die Republik Österreich und mit dem höchsten Orden der Landesregierung von Niederösterreich ausgezeichnet.
1995, als Susanne Wenger ihren achtzigsten Geburtstag feierte, fand ihre vielleicht größte Ausstellung in der Kunsthalle Krems in Österreich, in der säkularisierten Minoritenkirche, statt. Mehrere tausend Besucher kamen zur Eröffnung, darunter Ulli Beier, Nobelpreisträger Wole Soyinka sowie eine Gruppe von mehreren traditionellen Yoruba-Priestern, Tänzern und Trommlern. In diesem Jahr gründete Susanne Wenger in Krems auch die Susanne Wenger Stiftung, um ihre Kunstwerke zu sammeln und zu unterstützen. Es gab noch andere große Ausstellungen ihrer Arbeiten, einschließlich der in ihrer Heimatstadt Graz in den Jahren 1995 und 2004 und dem Museum of Modern Art in Prag. 1993 kuratierte Ulli Beier eine Ausstellung im Iwalewa-Haus in Bayreuth in Deutschland und eine weitere 1996 im Muson Zentrum Lagos. 2001 wurde Susanne Wenger eingeladen, an der bedeutenden Ausstellung „The Short Century - Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika“ teilzunehmen, die von Okwui Envezor[2] kuratiert wurde. Diese Ausstellung konnte noch in München, Berlin, New York und dem Museum für Moderne Kunst in Chicago gezeigt werden. 2004 wurde sie mit der höchsten Auszeichnung des Bundeslandes Steiermark, ihrer Heimat, von der Landeshauptfrau geehrt. Sie erhielt auch noch das „Goldene Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft“ der Republik Österreich. Die Kunsthalle Krems (deren Gründungsdirektor Prof. Wolfgang Denk war), organisierte eine weitere Jubiläumsausstellung unter dem Titel: „Susanne Wenger - Künstlerin und Priesterin - an den Ufern eines heiligen Flusses in Afrika“.
2005 wurde Susanne Wengers neunzigster Geburtstag ausgiebig in Oshogbo und Lagos gefeiert, wo große Zeremonien im Königspalast von Oshogbo, im Gouverneurspalast und in ihrem Haus in der Ibokun Straße abgehalten wurden. Internationale Gäste waren eingeladen und eine große Anzahl von traditionellen höchsten Yoruba -Priestern und Priesterinnen war anwesend. Auch das österreichische Fernsehen schickte ein Team, um die Feierlichkeiten zu filmen. Es gab umfangreiche Berichterstattungen in den nigerianischen Medien und der österreichische Botschafter lud zu einem Empfang in seine Residenz in Lagos. 2008 wurde ihr die große Ehre zuteil, von der nigerianischen Regierung zum Ehrenbürger der Republik Nigeria ernannt zu werden. Seit 1985 hielt Susanne Wenger die Zusammenarbeit mit ihren Leuten in den Heiligen Hainen aufrecht, die in der Zwischenzeit zum Nationaldenkmal von Nigeria erklärt wurden. Das jährliche Oshun Festival in den Heiligen Hainen von Oshogbo ist das wichtigste traditionelle religiöse Festival von Afrika und zieht Tausende von Besuchern und Gläubigen an. Sie setzte ihre Arbeit an der komplexen Ifa-Odu Skulptur an einem versteckten Platz in den Oshun Hainen fort, aber auch Malerei und Zeichnung in ihrem Atelier. Wolfgang Denk reiste viele Male nach Oshogbo und Susanne Wenger besuchte Österreich fast jedes Jahr. Sie wohnte bei ihm und seiner Frau Martha, die ihre besondere Vertraute wurde.
Bis zu ihrem Tod lebte und arbeitete sie in und rund um Oshogbo, das jetzt die Hauptstadt des Oshun State ist, eine große Stadt von über fünfhunderttausend Einwohnern in der Mitte des Yoruba-Landes. Nach ihrem traurigen Ableben in Oshogbo, wurde Susanne Wenger in ihren geliebten Heiligen Hainen begraben. Wichtige Zeremonien wurden abgehalten und finden noch immer statt. Ihre spirituelle Familie kümmert sich um das Erbe der Adunni Olorisha (Susannes Yoruba-Name), der Mutter und Hüterin der Yoruba-Traditionen und Religion. Susanne Wengers Philosophie ist die ganze Natur des Einsseins, Teil von etwas Spirituellem zu sein, der Geist der Kunst und der Geist der Religion, manifestiert in den heiligen Hainen von Oshogbo. Die verstorbene Susanne Wenger, die unvergessliche und herausragende Künstlerin und Philosophin sagte: „Unsere Arbeiten sind vielleicht nur Blätter vom Baum des Lebens, dem Logos gegeben, der das heilige Zentrum des Universums und der Ursprung allen Lebens ist.“
[1] Susanne Wengers Hass gegen die Hitler-Partei war eines der Themen der großen Ausstellung „Moderne in Dunkler Zeit“ 2001 in Graz, ihrer österreichischen Heimatstadt.
[2] Nigerianischer Kurator der documenta IX in Deutschland, wichtigster Ausstellungs-Kreis für moderne und zeitgenössische Kunst seit 1950